Offener Brief von kritischen Kolleg*innen des Helios Amper Klinikums Dachau
Seit Jahren kämpfen die Kolleg*innen am Helios Amper Klinikum in Dachau unermüdlich für ein funktionierendes Gesundheitssystem und gegen eine weitere Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen - und damit für uns alle. Wir dokumentieren ihren offenen Brief vom November 2025.
An die Verantwortlichen in Politik, Krankenkassen und Aufsichtsbehörden,
An die Dachauer Öffentlichkeit,
wir wenden uns als kritische Beschäftigte des Helios Amper Klinikums an Sie, um unserer Kritik in aller Deutlichkeit Ausdruck zu verleihen. Des weiteren ist dieser offene Brief als ein dringender Appell zum Handeln zu verstehen. Wie Sie sicher mitbekommen haben wurde am 12.11.25 an allen vier Standorten von Helios in Dachau, Markt Indersdorf, München Pasing und München Perlach dagegen protestiert, dass der Konzern ab dem kommenden Jahr den Pflegekräften die Reinigung von Betten, Nachtkästchen und Schränken übertragen will.
Unzumutbare Arbeitsbedingungen
Das bringt das Fass nicht mehr zum Überlaufen, denn dieser Punkt ist längst überschritten. Man hat schon im Oktober 2023 das komplette Catering und im August 2023 den Patient*innenfahrdienst aufgelöst. Die knapp 65 Kolleg*innen sollten eine einjährige Ausbildung zur Pflegehilfskraft absolvieren, konnten sie nicht und wurden mehrheitlich gekündigt. Der Arbeitsalltag auf den Stationen ist seitdem gekennzeichnet von gleichzeitig zu erledigenden Aufgaben, von denen die originäre völlig in den Hintergrund gerät - die Überwachung und Versorgung der akut erkrankten Menschen. Es treten seither vermehrt Situationen auf, welche für die Patient*innen als gefährliche Pflege einzuordnen sind. Dem liegt zugrunde, dass ein beträchtlicher Teil der Tätigkeiten der Krankenpflegekräfte, Krankenpflegehilfskräfte und Auszubildenden Randtätigkeiten sind: Essen holen, vorbereiten, verteilen, einsammeln. Wasserkannen und Kaffee abfüllen, Tee kochen und Patient*innen zu Operationen und Untersuchungen zu fahren oder abzuholen. In diesem Kontext einem zuvor schon überlasteten Personal noch einmal völlig pflegefremde Aufgaben zuzuweisen, welche weiteren enormen zeitlichen Druck mit sich bringen, lässt erkennen, dass der Helios Konzern die Realität seiner Beschäftigten ignoriert und unsere Bedürfnisse mit Füßen tritt.
Einsparungen und die Rolle des Pflegebudgets
Als Grund für die Umstrukturierungen ist klar das Pflegebudget zu nennen, welches ursprünglich eingeführt wurde wieder mehr Pflegepersonal einzustellen oder zumindest nicht weiter abzubauen. Der Helios Konzern deklariert nun verschiedene Berufsgruppen, wie z.B. Stationssekretär*innen, zur Pflege dazu. Dies dient zum einen dazu, die Löhne durch das Pflegebudget von den Krankenkassen am Ende des Jahres zurück erstattet zu bekommen, zum anderen kann Außenstehenden eine Erhöhung des Pflegepersonals weisgemacht werden. Eine klare Einsparung, wenn einem von der Anzahl her gleich wenigem Personal nun die dritte zusätzlich Aufgabe aufgezwungen wird. Wie dem BR Artikel vom 12.11.25 zu entnehmen ist, macht der Helios Konzern deutlich, dass er dies darf. An diesem Punkt gilt es anzusetzen.
Denn wenn bereits jetzt - ohne Betten putzen zu müssen - ein Drittel der Dienstzeit für Tätigkeiten, welche nicht „am Bett“ stattfinden, verloren geht, kann man sich ausmalen, dass durch die Reinigungstätigkeiten Pflegezeit „am Bett“ weiter minimiert wird. Die Krankenkassen haben ein Interesse am Gesunden ihrer Beitragzahlenden, v.a. wenn sie sich in einem stationären Aufenthalt befinden. Der Helios Konzern bedient sich durch das Pflegebudget am Geld der Krankenkassen, wenn Berufsgruppen, die nicht pflegerische Versorgung leisten, dennoch als solche refinanziert werden. Dies kann vor dem Hintergrund finanziell klammer Krankenkassen in keiner Weise in deren Interesse sein und als Missbrauch von Leistungen angesehen werden.
Gewinne zu welchem Preis?
Mit Verwunderung entnehmen wir einem Artikel der Dachauer Nachrichten vom 05.11.25, dass die Helios Amper Kliniken AG im vergangenen Jahr 13,2 Millionen Euro Gewinn gemacht hat, was dem Kreistag Dachau stolz berichtet wird. Niemand im Kreistag fragt sich dabei, auf welche Weise man einen derartigen Gewinn zustande bringt und wo der Gewinn letztendlich landet. Die oben geschilderten Einsparungen tragen ihren Teil dazu bei. Darüber hinaus wird das Helios Amper Klinikum Dachau eben NICHT „oft“ von der Rettungsleitstelle abgemeldet, sondern so gut wie nie. Es wird dem ärztliche Dienst strikt untersagt.
Überbelegung
Dies führt dazu, dass sich immer wieder chaotische Szenarien abspielen. Patient*innen, die auf den Fluren der Stationen stundenlang sitzen oder liegen, nachdem sie in der Notaufnahme bereits mehrere Stunden verbracht haben bis sie aufgenommen werden. Nach einer Spitze im Januar wird dies nun zum Jahresende wieder vermehrt praktiziert, denn je mehr Patient*innen, desto mehr Geld. So funktioniert das System der Fallpauschalen. Auch hier spielt das Gesunden der Patient*innen keine primäre Rolle, das Ganze gleicht einer Art Massenabfertigung. Dass es im Klinikum insgesamt zu wenig physisch aufgestellte Betten gibt und sich alle täglich auf die Suche nach Betten machen müssen, darf als das Sahnehäubchen dieses Zustandes betrachtet werden. Denn selbst an Betten wird gespart, gleichzeitig soll aber eine möglichst unbegrenzte Anzahl an Patient*innen aufgenommen werden. Wie soll das funktionieren?
Um den Alltag konkreter darzustellen drei Beispiele, wie sich der Zustand auf Patient*innen, Angehörige und Beschäftigte praktisch auswirkt.
Die Patient*innen
Patient*innen können nicht pflegerisch versorgt werden. Zähne putzen findet seit zwei Jahren nur noch ausnahmsweise statt, von der Ganzkörperpflege ganz zu schweigen, wenn eine Pflegekraft im Schnitt bis oder über 20 Patient*innen zu versorgen hat - das Doppelte der Untergrenzenverordnung, welche als unterste Grenze zu betrachten ist - und 15 Minuten pro OP Fahrt oder 10 Minuten pro Untersuchungsfahrt nicht auf der Station anwesend ist. Währenddessen kann ein*e Patient*in auf die Toilette müssen, Schmerzen haben oder sich kritisch vom Zustand verschlechtern. Die Pflegekraft bekommt das nicht mit. Hier erweist sich auch der stets angeführte „Skill Mix“ als blanke Nebelkerze, denn zu wenig Personal ist und bleibt zu wenig Personal.
Die Angehörigen
Angehörige beschweren sich zunehmend, allerdings nicht schriftlich und nicht ausreichend an die Klinikleitung. Vielmehr werden die Kolleg*innen auf den Stationen angegangen. Arztgespräche mit Angehörigen finden immer weniger statt. Die Angehörigen finden ihre Verwandten in oft verschmutzten Betten ungepflegt vor. Dass dies dann kritisiert wird, ist nachvollziehbar. Viele Angehörige kommen, um Pflegebedüftigen das Essen einzugeben oder bringen ihnen Essen mit, ziehen ihnen frische Kleidung an - wenn sie die Zeit dafür haben.
Die Beschäftigten
Das Stationsteam aus Krankenpflegekräften, Krankenpflegehilfskräften, Sekretär*in und wechselnden Auszubildenden sieht sich tagtäglich in einem Wettlauf gegen die Zeit. Der ärztliche Dienst ist davon nicht ausgenommen. Die Fülle - oft gleichzeitig zu erledigender - Aufgaben ist in der Gesamtheit nicht zu bewältigen. Seit Jahren wird dies auch öffentlich angeprangert. Geändert hat es sich ins Negative, indem die zusätzlichen Tätigkeiten hinzu kamen. Man kann nicht gleichzeitig Essen verteilen, jemand zur Toilette bringen, zwei abgerufene Patient*innen zu OP oder Untersuchung fahren bzw. holen, an ein ständig klingelndes Telefon gehen, auf drei Patient*innenglocken gehen, Medikamente verabreichen und bei allem hygienische Standards erfüllen. Dies dürfte auch Laien klar sein. Stellt sich die Frage, wie oder wann man nun zusätzlich einen Bettplatz aus Bett, Nachtkästchen und Schrank putzen soll, wofür mit 15 Minuten gerechnet werden muss? Die Stationen haben je nach Fachabteilung 10 bis 25 Entlassungen und Neuaufnahmen pro Tag.
Unsere Forderungen
Die verschiedenen verantwortlichen Stellen, die Krankenkassen auf Bundesebene und letzten Endes die Bundespolitik müssen dafür Sorge tragen den Klinikkonzern zu kontrollieren, ob dessen Agieren einer Neujustierung des Pflegebudgets bedarf. Man könnte den Anspruch auf Pflegebudget in Verbindung mit einem Einsparungsverbot bringen, welches anhand von Kriterien benannt ist.
Ebenso muss der Landkreis Dachau mit seinen 5,1% Anteilen an der Helios Amper Kliniken AG kontrollieren, ob diese ihrem Versorgungsauftrag so noch gerecht wird.
Wer den Preis für die 13 Millionen Gewinn zahlt liegt klar auf der Hand. Die Patient*innen, die Krankenkassen und ihre Beitragzahlenden als auch wir Beschäftigte mit unserer eigenen Gesundheit. Sie alle zahlen den Preis, alle außer Helios.
Kritische Kolleg*innen des Helios Amper Klinikums Dachau
Der BR hat berichtet: Pflegebudget-Skandal